Was 1919 passierte und was wir 1995-2004 erreichten – Das sollten Sie wissen!

1919

Es ist Freitag, der 1. August 1919 in Lindenberg, südöstlich von Berlin. Im Preußischen Aeronautischen Observatorium (heute Deutscher Wetterdienst) ist es ein Tag wie jeder andere. Insgesamt 8 Drachen sind ausgelassen. Jetzt, nach 5 Stunden und 45 Minuten, nämlich um 11:15 Uhr, geht nichts mehr. 15.000 Meter Stahldraht hängen in der Luft. Obwohl noch bis zu 143 Kg an der Leine ziehen, ist dieser Versuch jetzt beendet. Das Einholen des Drachengespanns beginnt, um die Daten des Barographen am oberen Drachen auszuwerten. Das Ergebnis: 9740 m üNN.

Die damals erreichte Höhe ist nicht 100%ig sicher belegt. Der Barograph, der über die Aufzeichnung des Luftdrucks die Höhe hätte bestimmen lassen können, zeichnete den letzten Teil des Fluges nicht mehr auf. Eine Anerkennung des Rekords fand jedoch später trotzdem statt, da die Temperaturaufzeichnungen vorlagen und daraus eine etwaige Höhe errechnet werden konnte.

Damals verwendete man sehr große Drachen mit schwerem Holzgestänge und Segelleinen als Bezugsstoff. So ein Drachen wog um die 20kg oder mehr und hatte den Nachteil, dass der Stoff sich mit Wasser sättigen und gefrieren konnte und das Gewicht durch das Holzgestänge sehr hoch war. Also benötigte man generell höhere Windgeschwindigkeiten, damit die Drachen sich überhaupt in der Luft halten konnten.

Wir haben uns bereits zu Beginn des Projekts zum Ziel gesetzt, mit heutigen Baumaterialien wie Polyester- oder Nylontuch und Kohlefasermaterial zu bauen, hoch reißfeste Leinen aus Dyneema / Spectra zu verwenden und zur Bestimmung von Höhe und Flugposition GPS mit Funkübertragung zu verwenden.

1995 – Die Idee

Eine alkoholgesättigte Stammtischidee? Beiweitem nicht! Die Grundidee kam mir (Matthias) als erstem Vorsitzenden etwa im Jahr 1995, um unserem Drachen-Club Flattermann e.V. zu neuem Schwung zu verhelfen, ein garantiert einmaliges Gruppenprojekt zu starten. Es war eigentlich von Beginn an klar, dass die Deutsche Bürokratie bereits die ersten Bemühungen zunichte machen würde. Daher begannen meine ersten Recherchen auch im stillen Kämmerchen, ohne das Mitwissen anderer. Ich schrieb und organisierte und fand die Idee einfach nur verrückt. Es begannen Recherchen beim Deutschen Wetterdienst in Lindenberg, dort, wo damals dieser Rekord aufgestellt wurde und sich das alte Archiv befindet.

Erstaunlich waren die Antworten auf meine ersten Schreiben (damals meist noch Faxe). Die Luftfahrtbehörde verwies mich an das Bundesministerium der Verteidigung, das an die Deutsche Luftfahrtbehörde, die an die Deutsche Flugsicherung und so weiter. Alle Stellen waren von der Idee begeistert und boten ihre Hilfe an. Daraus ergab sich eine lange Liste (siehe weiter unten) von unglaublichen Kontakten und nur drei Absagen.

Dann erst informierte ich den Verein von dem Vorhaben, und der war begeistert. Viele machten mit und ermöglichten so ein phantastisches Gruppenprojekt, ein unvergleichliches Abenteuer.

2001 – 2004

Nachdem ein Fluggelände gefunden war, machten wir uns an die Suche nach einer geeigneten Drachenform. Sie sollte von jedem Mitglied gebaut werden können, in reproduzierbarer Qualität, und den Belastungen eines Jetstreams standhalten. Also weit über Windstärke 12. So bauten wir einen Schirmdrachen, einen Diamantdrachen, Eigenkonstruktionen. Schließlich aber kristallisierte sich die Drachenform der Peter-Lynn-Box heraus, eine neuere Erfindung des Neuseeländischen Drachenbauers Peter Lynn. Die Drachenform wurde für Starkwind optimiert und viele Drachen fielen Testflügen im Sturm zum Opfer. Letztendlich aber haben wir heute einen Drachen, der ein Maximum an Stabilität und Leistungsfähigkeit bietet. Wir wichen erst spät vom damaligen Gespannaufbau einer Drachenkette, wie damals verwendet, ab – heute werden die Einzeldrachen direkt in die Hauptleine eingefügt.

In den Jahren 2001 bis 2004 erfolgten mehrere Flüge mit Einzeldrachen und Drachengespannen. Wir entwickelten und bauten eine Friktionswinch um die Leine zu transportieren, bekamen eine Wickelmaschine aus DDR-Zeiten geschenkt und sammelten damit Erfahrungen bis in eine dokumentierte Höhe von ca. 2300 Metern. Dabei hatten wir mehrere Leinenbrüche; unser größter Verlust waren über 1000 Meter Kevlar-Leine und eine große Lynnbox aus meinem Drachenrepertoire. Dabei wurde uns durch mehrere Leinenrisse die Gefahr dieses Projekts zunehmend bewusst und wir beschlossen, das Projekt zu pausieren. Geplante Wiederaufnahme: Wenn wir alle im Ruhestand wären.

Das ist nun fast ausnahmslos der Fall, und Thomas Hartmann nahm die Kontakte von damals erneut auf und knüpfte zahlreiche neue. Unsere heutige Zielsetzung ist in erster Linie die Sicherheit des Projekts und der Umwelt. In zweiter Linie, eine Höhe von möglichst 10.000 Metern zu erreichen. Wir sind weit gekommen, auch dank der Unterstützung zahlreicher Menschen, die dieses Projekt mit ihren persönlichen Fähigkeiten unterstützen.

 

ab 2022

Die Wiederaufnahme des Projektes schloss an den Stand von vor 20 Jahren beinahe lückenlos an, die Vorarbeiten von damals waren noch nicht vergessen und eine hilfreiche Basis!

Da eine Dyneema-Leine selbstschmierend und ab einer Zugkraft von ca. 30 Kg händisch nicht mehr handhabbar ist, verwendeten wir damals eine selbst konstruierte Friktionswinsch und eine Wickelmaschine aus der ehemaligen DDR, diese Kombination erwies sich aber als störanfällig. 20 Jahre später stießen wir auf die Firma Getriebebau Nord, die von unserem Vorhaben begeistert war. Hier entwickelte man eine völlig neue Leinen-Transporttechnik, die es bislang nicht gab und sich nun im Handhaben der glitschigen Leine bewähren muss.

Ein Grundscher Regulierdrachen aus der Zeit des Höhenflugrekords Anfang des 20. Jahrhunderts in Lindenberg. Baumaterial: schweres Segelleinen und Aluminium-Gestänge. Flugleine: Klavierdraht.

Dieses Monster ist eine der Winden, mit denen damals in Lindenberg bei Berlin der Stahldraht ausgelassen und eingeholt wurde.
Die Isolatoren zeigen, dass auch wir es mit elektrostatischen Aufladungen zu tun bekommen könnten. Nur eines von vielen Problemen …

Und so sieht unsere Lynnbox in etwa heute aus, hier kurz vor einem Probeflug mit eingehängtem GPS-Empfangs-und Sendeteil.

Empfang und Auswertung der an den Boden gesendeten GPS-Daten durch den AATiS.
Es kamen alle paar Sekunden drei Datenpakete zum Boden gefunkt: Zwei mal Koordinaten als Digitale Werte und einmal als Sprachausgabe, damit wir jederzeit hören konnten, wie hoch sich unsere Drachen befanden.

Heute ist das System um funkgesteuerte Leinenkapp-vorrichtungen ergänzt, damit das Gespann im Notfall den Luftraum schnell verlassen kann. Während unseres Hauptversuchs sollen die Daten ins Internet eingespeist werden, von jedermann abrufbar.

Und so sah unsere erste, selbst gebaute Friktionswinch mit nachgeschalteter Wickelmaschine aus. Dieses Gerät existiert heute noch teilweise.

Und das ist unsere ausgereifte Version der Peter-Lynn-Box. Nur noch wenige, aber entscheidende Änderungen mussten wir daran noch vornehmen.

Die zweidimensionale Grafik zeigt die Bodenlinie eines Drachenfluges. Der Wetterbericht hatte für diesen Tag Wind bis in eine Höhe von 200m vorhergesagt, höher kamen wir dann auch nicht. Startpunkt ist rechts unten im Bild, das gelbe Knäul links oben ist der Punkt, an dem der Drachen auf dem Wind liegen blieb und nicht mehr stieg, nur noch hin- und her schwankte.

Die dreidimensionale Ansicht dieses Fluges. Blau ist die Bodenlinie, Rot der Aufstieg und das Einholen. Schwer zu lesen sind die Uhrzeiten der jeweilig erreichten Höhen. Dieser Probeflug dauerte fast vier Stunden.

Unten kommt unsere Liste von Kontakten aus der damaligen Zeit. Unbedingt lesenswert!

Von der Idee bis hin zur Durchführung waren bereits in der Zeit von 1996-2004 viele Institutionen, Firmen und Personen am Werdegang des Weltrekordversuches beteiligt, viele mehrfach. Im Folgenden wollen wir darauf verzichten, ins Detail zu gehen. Die Liste spricht für sich. Die Chronologie entspricht dem zeitlichen Ablaufe.

  • Recherche in allgemeiner Literatur
  • Meteorologisches Observatorium Lindenberg (Kreis Oder-Spree)
  • Deutscher Wetterdienst Offenbach
  • Luftfahrtbundesamt, Aussenstelle Hamburg
  • FHH Wirtschaftsbehörde, Referat Luftverkehr
  • Bundesministerium der Verteidigung Bonn (BMfG)
  • Deutsche Flugsicherung Hamburg
  • Deutsche Flugsicherung Bremen
  • Deutsche Flugsicherung Offenbach
  • Bundesministerium für Verkehr Bonn
  • Luftpirat Hamburg
  • Cerf-Volant, Frankreich
  • Drachenmagazin
  • Guinnes Verlag Hamburg
  • Redaktion der Zeitschrift P.M.
  • Bundeswehr, Standortkommandantur Putlos
  • Bundeswehr, Heeresabwehrschule Todendorf
  • Meteomedia AG, Schweiz
  • Bundeswehr, Aufklärungsgeschwader 51 Immelmann
  • Deutscher Wetterdienst, Zentrale Offenbach
  • ZDF Mainz
  • Manufactures d’Horlogerie Waldenburg / Schweiz
  • Drachen-Club Deutschland e.V.
  • VFS Heinz Grümmer GmbH Versicherungsagentur
  • Fa. Vaisala Regel- und Messtechnik, Schweden/Hamburg
  • Lippmann Tauwerke Hamburg
  • Rosenberger OHG Lichtenberg
  • FSE GmbH Deutschland / Teufelberger Österreich 
  • Geo. Gleistein GmbH Bremen 
  • Ockert Filament-Technologie Puchheim
  • Polycord GmbH Annaberg-Buchholz
  • Bartels-Feldhoff GmbH&Co.KG Wuppertal
  • Deutscher Wetterdienst, Instrumentenamt Hamburg
  • Deutscher Wetterdienst, mobile Messeinheit Essen
  • Bundeswehr, Geophysikalische Beratungsstelle Hamburg
  • Bundeswehr, Flottenkommando Abt. Geophysik
  • Bundeswehr, D/NL Corps, Abt. Geophysik, Münster
  • Fa. Ispo, Kriftel
  • Uni Hannover
  • Rheinmetall AG Düsseldorf
  • Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) Köln
  • BBL Elektronik GmbH, Bad Lauterberg
  • Rheinmetall AG Unterlüß
  • Bundeswehr, Standortkommandantur Putlos
  • Hatlapa Maschinenfabrik Uetersen
  • Steen Maschinenfabrik Elmshorn
  • Aero-Club Stendal e.V.
  • Gematronic GmbH elektronische Anlagen
  • Heeresunterstützungskommando Koblenz
  • Fa. Germannex, Flecht- und Seilereimaschinen
  • Drachen-Club Kiel Oben
  • Bundeswehr, Wehrbereichsverwaltung, Standortverwaltung Neustadt
  • Vereinigung Cockpit, Neu Isenburg
  • August Krempel GmbH, Werkstoffe, Verbundwerkstoffe
  • Werbeagentur ELBGRAPHEN, Hamburg
  • Werbeagentur BELLA MARIE, Hamburg
  • Vlieger-Op, Den Haag, Niederlande
  • Reynolds Aluminium Iserlohn
  • Arbeitskreis Amateurfunk und Telekommunikation in der Schule e.V. „AATiS e.V.“
  • Fa. Wolkenstürmer Hamburg
  • Kaindl Electronic, Rohrbach


Das sind unsere damaligen Ansprechpartner, die uns allesamt zu dem Punkt geführt haben, an dem wir damals mit unserer Planung standen. Es gab generell von allen Institutionen nur positive Reaktionen. Absagen, das Sponsoring betreffend, waren rein rationellen Ursprungs.